Hoch das Glas!

Nach dem Hinweis auf die wunderbare Ausstellung zeitgenössischen Glases in Frankfurt im Eintrag vom 28.08. ,heute mein freudiger
Aufruf an alle Glasfans, das neue Glasmuseum  >Les Stanze del Vetro

Die Süddeutsche vom 09.10.2012 berichtete ausführlich von der Eröffnungsausstellung:

„Auf der Insel San Giorgio Maggiore hat ein Glasmuseum eröffnet. Es zeigt Arbeiten von Carlo Scarpa, der große Handwerkskunst geschaffen hat – macht aber auch sichtbar, wie Venedig durch den Massentourismus zu Bruch geht.

Die Palette scheint unendlich : Manches sieht aus wie Plastik, anderes wie Beton. Das Material kann aber auch den Anschein erwecken, als wäre es aus Lack, Seifenblasen oder Plastik. Dann wieder wirkt es wie mit einer groben Netzstrumpfhose überzogen.

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Carlo Scarpa, Glasarbeiten (Foto: Ettore Bellini, Le Stanze del Vetro)

In allen Fällen , die jetzt in Le Stanze del Vetro zu sehen sind, handelt es sich um Glas. Nur eben nicht um solches, wie man es aus dem Alltag kennt. (…) es ist spektakulär, mondän ,kostbar.

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Ausstellungsansicht im Le Stanze del Vetro, Venedig
(Foto: Ettore Bellini, Les Stanze del Vetro)

Carlo Scarpa (1906-1978), der vor allem als Architekt mit seinem Dialog zwischen Alt und Neu bekannt geworden ist, hat dafür gesorgt. Wie er als Venezianer alles aus dem Material herausholte, was möglich war, und so mit den Glasbläsern von Murano Kunstwerke geschaffen hat, ist aber nicht nur ergreifend schön anzusehen. Es reflektiert auch die jüngere Geschichte Venedigs, wie sich die stolze Serenissima aufmachte, Traumziel aller Billigtouristen zu werden, und dabei die eigene Vergangenheit immer mehr zu Bruch geht. (…)“ (Laura Weissmüller, Süddt. Zeitung Nr. 233, 9. Okt. 2012)

Die Carlo Scarpa gewidmete Eröffnungsausstellung zeigt größtes Können und Vielfalt an Glasausprägungen, entworfen und geplant von Scarpa, in Versuchreihen entwickelt und mit großer Handwerkskunst ausgeführt von den großen Manufakturen, von denen heute nur noch ein kleiner Bruchteil existiert.
Scarpa kam als Architekt durch Zufall auf Glas, ein Auftrag führte ihn nach Murano, erblieb, baute zwar nicht, aber widmete sich bis in die 40erJahre ausschließlich dem wunderbaren Material und lotete alle Möglichkeiten aus.

Nicht weniger als 30 Glassorten entwickelte er mit Capellin und Venini – viele blieb exklusives, nur einmal geglücktes Einzelstück, einiges ging in Serie und die besten Stücke zeigt die Ausstellung:  ein Spiegel der großen Könnerschaft Muranos in Glas.
Bis heute?

„Was hat das alles mit dem Venedig von heute zu tun? Sehr viel. Denn die Handwerksbetriebe, die auf Murano Glas herstellen, sind nicht nur einige der letzten Produktionstätten überhaupt in Venedig. Das, was hier seit Jahrhunderten angefertigt wird, hat zum weltweiten Ruhm der Lagunenstadt beigetragen. Murano-Glas ist international bekannt, wenn auch die Dichte an Shops, die es verkaufen, nirgendwo so hoch sein dürfte, wie in Venedig. Das Problem dabei:

Was die unzähligen Läden hier farbenfroh und formenreich an den Kunden bringen, stammt in den seltensten Fällen von der Nachbarinsel. Wer all die Tierchen, knallfarbenen Aschenbecher und glitzernden Armreifen genauer anguckt, kann sich das denken. (…) Solche Billigware ist nur in China herzustellen. Das meiste „Murano-Glas“, das in Venedig vertrieben wird, ist in Warheit ein Importartikel.
Die (meisten) Besucher stört das wenig. (…)
…auch in Murano zeigt der Billigtourismus seine Wirkung.
Weil die Touristen sich an die Preise der Importware gewöhnt haben, sind immer weniger bereit, die Qualität von echtem Murano-Glas zu bezahlen. Eine Werkstatt nach der anderen schließt dort. Ihre eingeschlagenen Fenster und verlotterten Lagerhallen bilden optisch einen scharfen Kontrast zu der bunten Ramschware in der Lagunenstadt – und gehören doch zusammen….“ (Laura Weissmüller)

Hier möchte das neue Glasmuseum gegenarbeiten – nicht nur mit der Ausstellungstätigkeit über herausragendes Murano-Glas und seine Gestalter, auch der bauliche Ansatz des Museums auf San Giorgio Maggiore trägt hier Rechnung:
Es ist der Umbau eines Jahrzehnte leer stehenden Schulkomplexes aus den 50er Jahren durch die New Yorker Architektin Annabelle Selldorf zu einem minimalistischen Gebäude mit Bibliothek, erweiterbar um ein Archiv und vielleicht der Beginn eines neuen Museumsquartiers.

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Das neue Glasmuseum le Stanze del Vetro auf San Giorgio Maggiore, Venedig
(Foto: Les Stanze del Vetro)

Neben der Biennale wäre diese Art Quartier geeignet, wieder eine andere Art von Tourismus für die Stadt zu generieren: nachhaltiger, die eigenen Wurzeln der Stadt betonend und qualitätvoll.

Carla Scarpa. Venini 1932-1947;
Le Stanze del Vetro,
bis 29. November;
Insel San Giogio Maggiore, Venedig.
www.lestanzedelvetro.it