Worüber ich kürzlich gestolpert bin:

Ab und zu lese ich „brand eins“, das Wirtschafts-Magazin.

Brand eins porträtiert zum Einen Unternehmen und deren Persönlichkeiten und beschäftigt sich zum Anderen mit wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen sowie Berichten, Reportagen und Interviews aus der Praxis.
Jedes Heft hat einen thematischen Schwerpunkt wie Kapital, Arbeit, Geld, Qualität, aber auch Themen wie Liebe und Kunst.
Zu den Schwerpunktthemen schreibt der Redakteur und Autor Wolf Lotter lockere Essays, aber die Heft-Schreibe an sich ist ziemlich charakteristisch…

brand eins: Ausgabe 01/2014 – beschäftigte sich mit dem Schwerpunkt Originalität –
Die Falschen und das Echte
Text: Wolf Lotter

Ich zitiere Ihnen hier einen Anfangsteil in Auszügen und empfehle Ihnen das Weiterlesen im Archiv der brand eins (link siehe unten).
Sie können sich denken, das das Thema mich als Galeristin immer wieder beschäftigen muss, denn  die wenigen Gestalter zu finden, die eine eigenen Sprache sprechen, die nicht kopieren, plagiieren, ist mein Anliegen…

Ich weiß, Ihnen so einen langen Text zu empfehlen, ist im blog fast Zumutung, aber ich bin guter Hoffnung….

Textausschnitt:
„1. ORIGINELLES

Leute, das kann doch nicht so schwer sein.Originalität bedeutet laut Brockhaus so viel wie Ursprünglichkeit, Echtheit, Eigentümlichkeit. Das sind handfeste Merkmale.

Ursprünglichkeit bedeutet, auf den Ausgangspunkt einer Entwicklung zu schauen und damit auf Ursache und Kern eines Problems. Das Echte unterscheidet sich von der Fälschung in seiner Wirkung während die Nachahmung immer nur so tut als ob. Die Eigentümlichkeit ist der Charakter des Originals, seine Unverwechselbarkeit, die uns hilft, zu unterscheiden und dadurch besser entscheiden zu können.

Das sind alles Eigenschaften, von denen alle behaupten, sie fänden sie super, gut und toll. Sie helfen gegen falsche Gleichmacherei und tumben Stillstand. Die Frage ist nur, warum die meisten Leute mit dem Originellen nicht können. Originalität irritiert. Sie gilt als eigentümlich ? im Sinne von merkwürdig, komisch, witzig. Ist ja ganz nett. Aber irgendwie windig. Das hören wir immer wieder, das haben wir so gelernt.

Von wem eigentlich?

Die Hohepriester dieser Denkschule sind diejenigen, die seit dem 19. Jahrhundert das Sagen haben: Politiker und Manager, die der Kaste der Beamten entstammen und deren Denken auf festen Mustern und Routinen beruht. Originalität gilt in dieser Welt als Störfaktor, und diejenigen, die originell sind, gelten als Gestörte. Das Originelle gefährdet die Stabilität und damit den Erfolg der gesamten Operation. Originalität ist riskant.

Als der österreichische Autor Herbert Eisenreich vor 60 Jahren in der »Zeit« ein Essay zu dem schon damals umstrittenen Thema schrieb, konnte er noch eine Vielzahl durchaus lebendiger Bedeutungen aus dem Duden anführen: Originell, das war damals noch ursprünglich, schöpferisch, eigenartig, einzigartig, eigen, neu, urwüchsig, angeboren, selbstständig, echt, natürlich, komisch. Geblieben sind davon eigentlich nur die negativen oder windigen Bedeutungen, eigenartig etwa und natürlich komisch.

Als Originale bezeichnet man Menschen, die sich anders kleiden, anders reden und denken und die aus der Menge hervorstechen. In Organisationen heißen solche Leute Querdenker und Kreative. Wenn sie etwas vorschlagen, sagt der Chef: „Das ist ja extrem originell, Herr Sowieso.“ Damit ist auch gleich klar, was Originalität ist: die Vorstufe zur Abmahnung. Da tut es nichts zur Sache, dass nicht jeder, der meint, originell zu sein, es auch ist. Es ist das Wesen der alten Organisation, Originalität für einen Defekt zu halten, der die Abläufe durcheinanderbringt und die innere Ordnung gefährdet. Manager und ihre Handlanger grinsen dann breit: Guck mal, ein echtes Original. Ein Komiker. Wie witzig.

2. MÖGLICHKEITEN

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es nur wenige Menschen, die dem widersprachen zu ihnen gehörte der amerikanische Intelligenzforscher Joy Paul Guilford, dessen Klassiker „The nature of human intelligence“ ein Meilenstein in der Bewertung von Intelligenz, Originalität und Kreativität ist.

Guilford definiert Originalität als „Faktor des divergenten Denkens“, bei dem es darum geht, kreative Lösungen für Probleme zu finden, das „Aufzeigen unüblicher Möglichkeiten bei der Verwendung bestimmter Objekte“. Es gibt Leute, die drücken eben immer nur einen Knopf gleich dem alten indonesischen Sprichwort: „Wer nur einen Hammer hat, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.“ Die Behämmerten übersehen dabei den entscheidenden Faktor bei der Lösung aller Probleme, den Grund dafür, warum wir überhaupt ein Gehirn haben: divergentes Denken, bei dem es darum geht, wie Guilford es formulierte, „unübliche Möglichkeiten bei der Verwendung bestimmter Objekte anzuwenden“. Das ist Originalität, so der Forscher.

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass es sich dabei um etwas ganz anderes handelt als jene in den vergangenen Jahrzehnten unkritisch herbeigebetete „Kreativität“, bei der es nur vermeintlich um vollständige Neuschöpfungen geht eine Art permanenter Urknall, bei dem man nicht weiß, woher das Zeug kommt und wohin es fliegt. Originalität ist nichts für Komiker und nichts für Knalltüten. Sie ist eine ernste Sache.

Originalität im Sinne divergenten Denkens schöpft aus dem, was ist, ohne es zu kopieren, nachzuahmen, zu wiederholen. Originalität erkennt die Welt und ihre Dinge in neuem Zusammenhang. Originalität ist keine Erfindung, sondern eine Entdeckung. Ein echtes Abenteuer und kein Dachschaden.

3. DIE ÄRA DES FALSCHEN

Natürlich weiß man, dass es diese Sichtweise von Originalität ist, die letztlich Mehrwert und Fortschritt schafft. Und dass Routinen und Normen die zeitweilige Folge origineller Prozesse sind. Wenn niemand entdeckt, was man mit Fließbändern tun kann, dann wird niemand auf die Idee kommen, auf ihnen jahrzehntelang Massenware herzustellen. Alle Produktion beruht auf originellen Ideen. Die Frage nach Ei und Henne ist hier eindeutig beantwortet.

Dennoch spielen sich die Hennen als Vormund auf und gackern alle nieder :das Huhn hält den Laden schließlich am Laufen, und Eierlegen liegt nicht im Trend. Die Führungskraft dieser Tage ist bieder und ideenarm, aber in alledem zuverlässig. Die Originale, die immer das Risiko des Neubeginns bergen, schätzt man nicht so sehr. Abzüge, Kopien sind irgendwie sicherer.

Man kann das einfach überprüfen: An wen denken wir, wenn wir nach Originalen an der Spitze von Unternehmen gefragt werden? Gab es früher mehr „Typen“ als Chefs und Macher? Wo sind die Eigentümlichen, die Unverwechselbaren in der Politik? Wo sind die originellen Ideen der vergangenen Jahre (Mehrfachnennungen möglich) ? und zwar solche, die nicht nur einigen Experten und Fachleuten ein Begriff sind? Haben wir das Gefühl, dass ein buntes Feuerwerk praktischer Problemlösungen am Himmel erscheint, wenn wir die großen Weltprobleme Energie, Wachstum, Wohlstand, Gesundheit und Bildung ansprechen? Und falls ja, werden dabei „unübliche Möglichkeiten bei der Verwendung bestimmter Objekte“ angewandt ? oder die Probleme einfach verwaltet und nicht selten dadurch auch vermehrt? Und an wem könnte das liegen?

Gewiss: Die Frage ist ein wenig unfair, denn vieles, was originell ist und uns weiterbringt, hat noch keine Chance auf Entdeckung gehabt. Aber wenn das Gerede von Neuem, Innovativem, Kreativem und Originellem mit der Wirklichkeit Schritt halten könnte ? müsste es nicht unzählige gute Antworten auf jede dieser Fragen geben?

Tatsache ist: Wir sind keine originelle Gesellschaft. Es wird nur viel darüber geredet. Man gackert so vor sich hin und wenn wirklich mal jemand ein Ei legt, originell ist, tritt man drauf. Das Eigentümliche genießt keinen Respekt.

Das hat unter anderem zur Folge, dass wir den Unterschied zwischen Original und
Kopien aus den Augen verlieren. Was früher Original war, ist heute zur „Inspiration“ für die Nachahmung geworden. In den Neunzigerjahren gewöhnte man sich daran, dass „Zitate“ in die Musik-Charts kamen und sich als eigenständige Idee ausgeben durften. Das wurde dann treuherzig damit erklärt, dass ja sowieso alles irgendwie schon mal dagewesen sei und es deshalb „das Neue“ und das „Originelle“ gar nicht gebe. Sind wir nicht alle Zwerge auf den Schultern von Riesen? Nein. Das haben die Zwerge bloß erfunden, damit sie auch weiterhin oben sitzen können.

Besonders versierte Verteidiger der Nachahmung finden sich dort, wo man einst mit Originalität sein Geld verdiente, im Feuilleton beispielsweise. Früher galt jemand, dem nichts einfiel, als Dummkopf. Das war vielleicht ein bisschen grob, aber ist es besser, dass heute Einfallslosigkeit der Karriere förderlich ist? Wer nicht originell ist, gilt als zuverlässig. Aber vielleicht ist das ganz normal in einer Welt, in der wie irre gefälschte Markenartikel aus Asien gekauft werden, weil die Leute glauben, sie hätten ein Recht auf diese billigen Täuschungen.

Die Nachahmergesellschaft, die augenzwinkernd abschreibt und die wissend grinst, wenn sie sich an der Originalität anderer bedient, stiehlt sich ihre eigene Zukunft. Das Plagiat ist die Regel geworden, Routine. Und die Empörung über die zu Guttenbergs dieser Welt schiere Heuchelei.

In einer Gesellschaft, die sich darüber im Klaren ist, dass Originalität, also unverwechselbare, gute Ideen die Grundlage des Wohlstands sind, wäre Empörung mehr als berechtigt. Das Stehlen von geistigem Eigentum anderer ist ein Kapitalverbrechen an der Wissensgesellschaft. Die Aufregung um den ganzen akademischen Schwindel wäre also ein gutes Zeichen ? wenn dahinter Respekt vor Wissen, Originalität und Innovation stünde. Doch damit hat das Theater um die falschen Fuffziger nichts zu tun.

4. DER WERT DES ORIGINALS

Die Rufe nach mehr Ehrlichkeit im Wissenschaftsbetrieb sind nicht originell,sie sind verlogen. Denn dort gilt wie fast überall: schön blöd, wer nach immer neuen Möglichkeiten sucht. Natürlich darf man klauen, nachmachen, kopieren, „interpretieren“, was das Zeug hält ? nur erwischen lassen darf man sich dabei nicht. Die Helden dieser Tage sind die, die sich nicht erwischen lassen oder denen man nichts beweisen kann.

Aber wem fällt das noch auf? Wen stört das? Und wozu braucht man eigentlich Originale?

Antworten auf diese Fragen finden wir in der Kunst, genauer: in der Art und Weise, wie wir mit Kunst umgehen. Jeder will das Original eines Kunstwerks und nicht seine Kopie, auch wenn die im Zeitalter des Digitalen perfekt zu sein scheint. Für das Original zahlt man einen hohen Preis, die Kopie hingegen schafft es nur etwas über ihren Materialwert hinaus. Das Original ist exklusiv, denn es kommt nur einmal vor. Es ist selten, ein rares Gut. Aber das ist nicht alles.

Einen noch größeren Anteil an der Bedeutung des Originals hat, was der Philosoph Walter Benjamin Aura nannte. In seinem Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ definiert er die Aura als die Gesamtheit der Werte und Bedeutungen, die ein Original besitzt. Das hat mit Esoterik und Strahlenkränzen nichts zu tun. Es ist ein technischer Begriff, der den gesamten Wert der geistigen Arbeit bewertet, die zu einem Original führt, und gleichzeitig die Bedeutung, die es für den Nutzer und Betrachter hat.

Das ist ein enorm wichtiger Gedanke, wenn es um die Bewertung von Wissen und abstrakten Gütern geht, von denen wir längst leben. Und die wir nach wie vor nach den Kriterien der Welt der Dinge messen , vor allem der industriellen Massenware. Benjamins Aura betont den Wert des einmaligen Denkens an sich. Eine Aura gibt es auch überall dort, wo einzigartige, einmalige Projekte und Leistungen erdacht werden, in jeder maßgeschneiderten Fabrik ebenso wie in jeder Maschine, die unverwechselbar und eigentümlich  und nicht einfach beliebig reproduzierbar ist.

Geschätzt wurde die geistige Arbeit, die Aura des Werkes, seit Menschen denken können. Unseren Vorfahren war klar, dass es die neue Idee ist, das Originelle, das Probleme löst oder neue Perspektiven eröffnet. Doch 200 Jahre Industrie- und Massenkultur haben diesem uralten Wissen zugesetzt. Was in der Kunst okay ist und ganz normal, nämlich dass der Wert sich an Original und Originalität bemisst, wirkt im Lebensalltag zunehmend fremd und skurril. Was in der Kunst preissteigernd wirkt, die Eigentümlichkeit, ist in der Welt der Massenproduktion ein glatter Kündigungsgrund.

Wir schludern mit dem Original, weil uns die Industriegesellschaft das so beigebracht hat. Für die Wissensgesellschaft ist aber das Nachdenken über das Wesen der Aura so wichtig wie die Preisfestlegung für Schweinehälften, Stahl und Kohle in der Industriegesellschaft. Wir stehen am Anfang einer neuen Ökonomie, die nicht mehr nach jenen Regeln funktioniert, die die alte Industriegesellschaft am Laufen gehalten haben……“

BITTE bei Interesse weiterlesen:

http://www.brandeins.de/archiv/2014/originalitaet/die-falschen-und-das-echte.html